Polyphoner Gesang aus der Ukraine – was stellt ihr euch darunter vor? Vor dem letzten Wochenende gehörte auch ich eher zu den Ahnenden denn zu den Wissenden. Ich kannte bulgarische und russische Chöre und erwartete also irgendwas dazwischen. Derart neugierig machte ich mich am Samstag also auf in die Landesmusikakademie in Berlin und startete damit in ein unvergessliches Wochenende voller neuer musikalischer Erfahrungen.>

Das erste Mal kam ich aktiv mit der sogenannten Open Throat Technique in Kontakt, das Singen mit Naturstimme. Die Kursleiterin Mariana Sadovka verstand es hervorragend, uns in uns diese Stimme finden zu lassen. Sehr ungewohnt erstmal, aber im Endeffekt eine sehr entspannte Art des Singens. Normalerweise habe ich nach 2 Tagen intensiven Singens doch immer so leichte Halsprobleme. Diesmal überhaupt nicht! Dafür hatte ich dann das Gefühl einer sehr offenen Nase und weiten Nasennebenhöhlen.

Und der klangliche Effekt dieser Art des Singens ist einfach einmalig.Bei richtiger Einstimmung entsteht ein solch intensiver obertonreicher Ton, dass man den Ton meint greifen zu können. Der Klang kann sich so verdichten, dass er buchstäblich den Raum ausfüllt und den Eindruck erweckt, jeden Moment explodieren zu wollen. – In einem kleinen Experiment stellte sich jeder der Kursteilnehmer einmal in die Mitte des Kreises der Singenden und stand somit im Zentrum des Klanges. Der Klang war körperlich spürbar. Man hatte das Gefühl, der Körper würde von einer Klangdusche massiert.

Neben diesem praktischen Erfahren gab es auch eine Menge Hintergrundinformationen. So unterscheidet sich das Repertoire der Frauen und Männer beträchtlich. Eigentlich ist in den weiten Ebenen der Ukraine in sämtlichen Sachen die Frauen tonangebend bei allen Gelegenheiten. Nur die liturgischen Gesänge zu Weihnachten und Ostern werden traditionell von Männern gesungen. Hin zur rumänischen Grenze verschiebt sich dieses Verhältnis. In den Bergen haben die Männer anscheinend eine andere Stellung als in der Ebene. Auch der Musikstil ändert sich mit der Landschaft. Sind in der Ebene polyphone Gesänge vorherrschend, so sind es in anderen Gegenden einstimmige Gesänge.

Alles in allem war es ein sehr anregendes Wochenende. Gerne jederzeit wieder. Auch die Dozentin Mariana Sadovska kann ich nur wärmsten empfehlen. Eine tolle Musikerin und Dozentin und ein sehr angenehmer Mensch. Ihr nächster Workshop findet vom 4. bis 6.Mai kommenden Jahres im Bildungshaus Kloster St. Ulrich im Schwarzwald nahe Freiburg statt.